Die Klassenlehrerzeit

In der Waldorfschule werden die Kinder in den ersten acht Jahren ihrer Schulzeit von ihrer Klassenlehrerin, ihrem Klassenlehrer pädagogisch begleitet. Im Hauptunterricht von acht bis zehn Uhr unterrichten sie ihre Schülerinnen und Schüler jeden Morgen in allen grundlegenden Fächern. Ihr Gebiet sind das Schreiben- und Lesenlernen, das Rechnen und die beginnende Mathematik, die Sprachlehre und der sich im Laufe der Jahre immer mehr differenzierende Sachunterricht: Heimatkunde, Naturkunde, Geschichte, Geographie, Biologie, Physik und Chemie. Im Zeichnen und Malen, Rezitieren, Singen und Flöten sowie im Erarbeiten von Klassenspielen arbeitet die Klassenlehrerin, der Klassenlehrer künstlerisch mit den Kindern. Sie stehen in regelmäßigen Konferenzen in ständigem Austausch mit dem Fachkollegium, das ihre Klasse nach zehn Uhr in den Fachstunden unterrichten: Handarbeit, Eurythmie, Religion, Englisch, Russisch, Musik, Sport und Bewegung, Werken und Gartenbau.

Jeglicher Unterrichtsstoff soll nicht in erster Linie um seiner selbst willen vermittelt werden, sondern um dem heranwachsenden Menschen das zu geben, was er für seine Entwicklung gerade braucht. Während die Fachstunden über das ganze Jahr im Wochenrhythmus gegeben werden, findet der Hauptunterricht in Epochen statt, das heißt die Fächer des Hauptunterrichtes werden drei oder vier Wochen lang ohne Unterbrechung täglich unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler können sich dadurch ganz in ein Themengebiet vertiefen. Die Klassenlehrerin, der Klassenlehrer unterrichten auch Gebiete, in denen sie keine „studierten Experten“ sind. Dies will jedoch nicht als Mangel, sondern als Konzept verstanden werden. Sie müssen sich immer wieder neuen Unterrichtsstoff erarbeiten. Für die Kinder ist es wichtiger, dass sie ihre Lehrerin, ihren Lehrer auch als Lernende erleben und nicht nur als Fachexperten, die mühelos ihr Wissen dozieren. Die Beziehung zwischen den Lehrenden und den Kindern ist die Grundlage für die Entwicklungsbegleitung und das Lernen der Kinder. Die Klassenlehrerin, der Klassenlehrer sollen für die Heranwachsenden eine Autorität sein, aber nicht Kraft ihres Amtes, sondern durch die Art der täglichen Begegnung. Der anfängliche Vertrauensvorschuss ihnen gegenüber soll bei Kindern und Eltern dadurch erhalten bleiben, dass sie sie als Menschen schätzen lernen.

Von besonderer Herausforderung für die Klassenlehrerin, den Klassenlehrer sind die letzten Jahre der achtjährigen Klassenlehrerzeit, wenn aus den Kindern Jugendliche werden. In dieser Zeit geht es darum, dass die Jugendlichen eine eigene Urteilsfähigkeit entwickeln und sich von der Autorität der Klassenlehrerin, des Klassenlehrers lösen.

Heinz Genswein, Klassenlehrer

1. Klasse

Nach ihrer feierlichen Begrüßung durch die Schulgemeinschaft gewöhnt sich die neue 1. Klasse in einer vier- bis achtwöchigen Übergangsphase an den neuen Schulalltag. In dieser Zeit wird sie täglich von 8.00-12.00 Uhr von der Klassenlehrerin, dem Klassenlehrer begleitet. Der Fachunterricht beginnt erst nach dieser Zeit. Die Kinder sollen möglichst dort abgeholt werden, wo sie stehen. Die Unterrichtszeit ist daher mit Bewegungselementen wie rhythmischen Übungen, Klatschen und kleinen Spielen durchsetzt.

Die Epochen wechseln zwischen Formenzeichnen, Schreiben und Rechnen. Als Unterrichtsfach gibt es das Formenzeichnen nur in der Waldorfschule. Es kommt dem Bewegungsimpuls des Kindes entgegen, schult seine Handgeschicklichkeit und entwickelt sein Formempfinden. Durch den Umgang mit der Linie, die nichts Gegenständliches abbildet, wird das Schreiben sachgemäß vorbereitet. In der 1. Klasse zeichnen die Kinder Variationen gerader und runder Formen.

Zum Schreibenlernen bekommt das Kind in der Waldorfschule viel Zeit. Das Lesen lernt es erst recht viel später: erst tun, dann begreifen. In den Schreibepochen werden die großen Druckbuchstaben in künstlerischer Gestaltung aus Bildern und Geschichten hervorgeholt. Die gewonnenen Buchstaben werden möglichst lange in großer Schreibweise geübt.

Im Rechnen wird zuerst das Zählen gefestigt. Indem wir die Kinder beim Zählen laut und leise sprechen, klatschen, laufen und hüpfen lassen wird das Zählen rhythmisiert. Die einzelnen Zahlen werden den Kindern wesenhaft nahe gebracht. Die Kinder sollen mit jeder Zahl etwas verbinden, was sie kennen. Jetzt erst kann mit den Grundrechnungsarten im zweistelligen Zahlenraum begonnen werden.

Am Ende des Hauptunterrichtes tauchen die Kinder in eine Geschichte aus der Märchen- oder Zwergenwelt ein.

Zur Festigung der Beziehung zu den Kindern und dem Elternhaus ist es üblich, dass die Erstklasslehrerin, der Erstklasslehrer im Laufe der ersten Schuljahre bei jedem Kind einen Hausbesuch machen.

Heinz Genswein, Klassenlehrer der 1. Klasse 2013/14

 

3. Klasse – die Hausbauepoche

Die Schülerinnen und Schüler bauen ein Haus

Das Haus ist nicht nur (um)gestalteter Raum, sondern auch Sinnbild für unseren Leib, den wir uns im Laufe der Jahre aus den ererbten und neuerworbenen Möglichkeiten schaffen. In diesem Sinne bauen die Kinder auch an „ihrem“ Haus, indem sie sich mit Material und Technik auseinandersetzen.

Meine Klasse hatte die Möglichkeit, auf einem Privatgrundstück in der Nähe der Schule zu bauen; da mir zwei verschiedene Aspekte sehr wichtig waren - zum einen das „Stein auf Stein“ einer Ziegelkonstruktion, zum anderen das Schaffen eines überdachten Raumes -, bauten wir eine Sitzbank mit Ziegelsockeln und einen hölzernen Fahrradschuppen.

Vier Wochen lang wanderten wir täglich auf die Baustelle, anfangs mit den benötigten langen Brettern beladen, um dort den Vormittag über zu arbeiten. Nach dem morgendlichen Begrüßen der Bewohner und Bauleiter fand die Lagebesprechung statt und das Verteilen der Aufgaben für den Tag. Vom Ausmessen des Grundes über das Markieren der Grundrisse gab es Löcher auszuheben für Fundamente - samt arbeitsintensiver Entfernung sperriger Wurzeln! -, Bretter zu sägen, zu schleifen und einzulassen, Ziegel heranzuschleppen, einen Grundstein zu gestalten und immer wieder etwas abzumessen.

Zwischendurch wurde der Gesamtaufbau mit den Kindern besprochen, Hefteinträge am sonnigen Gartentisch gefertigt; ein Bäumchen für das Richtfest musste verziert, der „Zimmererklatsch“ geübt werden, um der Zeremonie der Dachgleiche die nötige Festlichkeit zu verleihen, und natürlich gab es jeden Tag eine ordentliche Jause!

Die Kinder lernten den Umgang mit vielerlei Werkzeug, sie entdeckten Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten und erfuhren vielfach, wie sehr die einzelnen Schritte beim Bau voneinander abhingen – und damit auch die Menschen, die daran beteiligt waren.

Das gemeinsame Schaffen schweißte die Gemeinschaft der Schülerinnen und Schüler fester zusammen und war über viele Tage eine intensive Erfahrung auf handwerklicher und sozialer Ebene, eine Erfahrung aber auch, wie Unterricht fern vom Schulgebäude stattfinden kann.

In gleicher Weise entstanden im Laufe der Jahre unter anderem ein Spielhäuschen im Schulgarten, ein Backhaus, das auch heute noch seine Dienste tut, ein aufwendiges Baumhaus, das in allen Schulpausen frequentiert wird, und ein Glashaus für den Gartenbau; selbst eine Lehmhütte für den Kindergarten konnte in einer Hausbauepoche errichtet werden – eine ganz besondere Erfahrung: Der zunächst sehr bildsame Baustoff, der mit den eigenen Händen geformt wurde, erstarrte mit der Zeit zu großer Festigkeit und, dank des tragenden Gerüstes, zu dauerhafter Haltbarkeit!                                                                    

Jede Bauweise fordert eine Kindergemeinschaft anders und trainiert unterschiedliche Fähigkeiten, doch jede einzelne schult alle unsere Sinne, übt die Geschicklichkeit, schafft erste Einblicke in einfache Techniken und fördert nicht zuletzt das Gemeinschaftsgefühl.  

Elisabeth Platzer, Klassenlehrerin 3. Klasse 2011/12

 

Werken in der Mittelstufe

Die Herstellung verschiedener Werkstücke dient dem Erlernen von altersspezifischen Fähigkeiten der Schüler, das heißt, die jeweiligen Werkstücke müssen diesem Zweck sowohl adäquat, als auch so beschaffen sein, dass Schüler und Schülerinnen sie gerne anfertigen wollen. Wackelnde Nachziehenten, um nur ein Beispiel zu nennen, sind in der 7. Schulstufe, wo das Werkstück mechanisch bewegte Teile enthalten soll, nur in Ausnahmefällen der Hit, aber durchaus vereinzelt gewünscht.

Um welche Fähigkeiten geht es nun im Werken, welche Beziehung zur Welt soll sich herausbilden dürfen?

In der Mittelstufe geht es vor allem um ein Material, welches noch eine sehr nahe Beziehung zur Natur ermöglicht, um Holz. Holz ist gewachsen, je nachdem, um welchen Baum es sich handelt, sehr verschieden, und wenn wir uns konzentriert darauf einlassen und ein wenig Gefühl dafür bekommen, werden wir uns leichter damit tun, dann werden wir vom Holz lernen können, wie es sich bearbeiten lässt. Es zeigt sich uns weich oder hart, die Maserung zeigt den Wuchs und die Richtung, wie wir zum Beispiel unser Schnitzmesser ansetzen sollen, manche Stellen sind mühevoll zu bearbeiten, manche machen es uns leicht, man muss jedenfalls dabei bleiben, durchhalten und immer wieder achtsam neu einsteigen, wenn etwas Gutes daraus werden soll. Bei diesen Tätigkeiten darf die Korrektur durch das Material, das Werkstück erfolgen und auch die Bestätigung; der Lehrer stellt in der Hauptsache seine Hilfe zur Verfügung und zeigt, was möglich ist. Abgesehen von der Holzbearbeitung werden auch noch Anfänge der Metallbearbeitung, vor allem in der 7. Schulstufe, durchgenommen.

Natürlich geht es bei allen handwerklichen Fähigkeiten ebenso darum, mit dem Werkzeug geschickt umgehen zu lernen. Die Säge muss im Schnitt gerade laufen und sich nicht selbst durch zuviel Druck blockieren, ein Schnitzeisen muss das Holz gut schneiden und weder spalten noch reißen, um eine schöne Oberfläche zu erzeugen, und dazu muss es äußerst scharf sein. Wie poliert man ein Messer zu diesem Zweck richtig und wie hält man es so in der Hand, dass man weder sich noch andere verletzt? Verantwortungsbewusstsein und Achtsamkeit sind gefordert. Wie bohrt man, mit welchem Bohrer, mit welcher Geschwindigkeit, wie misst man den Durchmesser des Bohrers, wie spannt man ihn in ein Bohrfutter und wie spannt man Werkstücke überhaupt ein, sodass man sie dann geschickt bearbeiten kann?

Viele und noch mehr Fragen, die sich im Handwerksunterricht stellen, oft ohne dass sie ausgesprochen werden müssen, die sich in der Praxis zeigen und die ihre Antworten ebenso aus dem praktischen Umgang erhalten. Eine Mitte lässt sich hier ganz praktisch ermitteln, indem man von beiden Enden das gleiche Maß sucht und dann erst schaut, ob es auch wirklich die Hälfte von der Gesamtlänge ist; oder man geht den umgekehrten mathematischen Weg und überprüft dann von beiden Seiten mit dem Maßband, ob es auch stimmt – Theorie und Praxis finden hier mühelos zusammen, und praktisch intelligentes Tun mit Einfühlungsvermögen darf als Fähigkeit entstehen. Zudem soll noch eine gute „Werkstattstimmung“ entstehen, gemeint ist damit, dass diejenigen Schüler, die einen Arbeitsgang schon durchgemacht haben und auch können, den anderen zeigen dürfen, wie es geht; ein Lerngewinn für beide.

Richard Bointner

8. Klasse

Neben dem Epochenunterricht, der sich thematisch an die Inhalte der 7. Klasse anschließt, wird den SchülerInnen nun speziell die Möglichkeit geboten, das bis dahin Erlernte in verschiedenen Projekten anzuwenden:

  • Das Einstudieren und die Aufführung eines Theaterspiels können den SchülerInnen dazu verhelfen, die eigenständige Gestik und Sprache zu verfeinern. Aus den einzelnen Fähigkeiten der SchülerInnen wird nun eine Gemeinschaftsleistung.
  • Des Weiteren fertigen die SchülerInnen eine Jahresarbeit an, die mit einem umfangreicheren praktischen Teil verbunden ist und vor der Elternschaft und Teilen des Kollegiums präsentiert wird.
  • Während einer längeren Klassenreise wird nochmals geübt, sich in der größeren sozialen Gruppe einzufügen. Die Klassenlehrerzeit wird mit dieser Reise abgeschlossen.

 

 

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.